Green Border - Filmkritik
Frankfurt am Main [ENA] Der Film spielt im Oktober 2021 an der belarussischen, polnischen Grenze. Er zeigt, wie Familien, die im Grenzland gehindert werden, ihren Asylantrag zu stellen, gewaltsame Zurückweisungen erfahren und Tage oder Wochen unter menschenunwürdigen Bedingungen verbringen müssen.
Die fiktive Geschichte kommt den wirklichen Geschehnissen, wie sie sich dort ereignet haben, aber sehr nahe. Das Drehbuchteam stützt sich auf Ergebnisse einer tiefgehenden Recherche. Hier drei Szenen, die mich besonders bewegten. Der etwa 60-jährige Mann aus Syrien, der mit seiner Familie, darunter zwei Enkelkinder, nach Belarus kam, um von hier die polnische Grenze zu überqueren und weiter über Deutschland nach Schweden zu flüchten, wo er einen Bruder hat, wird ein paar Meter vor dem Grenzzaun niedergeknüppelt, mit Stiefeln getreten und verletzt. Die polnischen Grenzsoldaten wenden brutale Gewalt gegen ihn und seine Familie an. Die Familie erlebt zwei Pushbacks. Ein Enkelkind ertrinkt Tage später im Sumpf auf der polnischen Seite.
Die polnische Psychotherapeutin, die im Grenzgebiet wohnt und arbeitet, engagiert sich zusammen mit Aktivisten*innen. Sie geben Essen, Kleidung, Medikamente, Powerbanks, Handys, Decken und Trinkwasser an die geflüchteten Familien, die sich im Wald verstecken. Eine Aktivistin sagt zu den Flüchtlingen: „Die polnische Regierung will euch hier nicht. Die Grenzsoldaten haben den Befehl, euch über den Zaun nach Belarus zurückzuwerfen.“ Die Psychologin wird auf die Wache gebracht, da sie sich für Flüchtlinge engagiert hat. Sie wird gedemütigt und muss sich vollkommen entkleiden. Sie sagt später: „Ich lasse nie wieder jemanden allein im Wald zurück“.
Ein junger polnischer Grenzpolizist beteiligt sich an gewaltsamen Pushbacks und muss mitansehen, wie menschenverachtend die notleidenden Flüchtlinge behandelt werden. Sein Kommandant hält Hassreden gegen die Flüchtlinge: „Diese sogenannten Flüchtlinge sind Putins und Lukaschenkos Waffe. Das sind keine Menschen. Das sind lebende Geschosse.“ Er befehlt ein hartes Vorgehen, um sie daran zu hindern, ihren Asylantrag zu stellen und ordnet an, sie wieder zurück auf belarussisches Gebiet zu bringen. Der Grenzwächter erlebt traumarisierende Einsätze und distanziert sich mehr und mehr von dem Vorgehen der Grenzpolizei.
Bei einer Fahrzeugkontrolle sieht er Flüchtlinge, die sich im Laderaum eines Lastwagens verstecken. Es ist eine von Angesicht zu Angesicht Begegnung. Der Grenzwächter meldet es nicht und der Wagen kann weiterfahren. Die Menschlichkeit hat gesiegt. Es ist ein Skandal, dass Familien mit Kindern sich unter lebensbedrohenden Bedingungen in einem Wald verstecken müssen. Sie haben das Grundrecht als Flüchtlinge Asyl in der EU zu stellen. Gerade Kinder stehen unter besonderem Schutz. Die polnische Regierung verstößt mit den gewaltsamen Rückschiebungen im Grenzgebiet von Belarus gegen geltendes UN-Recht und gegen EU-Recht. Die EU und die Bundesregierung sollten das Verhalten der polnischen Regierung verurteilen und nicht wegsehen.
Flüchtlingsschutz ist Teil der Demokratie, die wir in der EU verteidigen müssen. Kinderrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen durch rechtswidrige Pushbacks, Gewalt und illegale Inhaftierungen sind für Kinder besonders schlimm. Kinder brauchen daher einen besonderen Schutz. Das ist in der UN Kinderrechtskonvention geregelt. Artikel 22: Flüchtlingskinder (1) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält …
Terre des hommes hat zusammen mit XENION - Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. den Bericht „Vor Mauern und hinter Gittern" herausgebracht. Er zeigt die Situation an den Außengrenzen Polens, Griechenlands, Bulgariens und Ungarns. Link zur Borschüre https://bit.ly/3U1LgDf / Der Film ist spannend, bewegend, realistisch und authentisch, lehrreich und daher sehenswert. Er nimmt uns aus der Grauzone der Gleichgültigkeit. Der Mensch ist ein soziales, vernunftbegabtes Wesen und braucht Empathie statt Kälte, besonders für Menschen in Not. Die Pushbacks (gewaltsame Zurückweisungen) widersprechen den Menschenrechten, dem Völkerrecht und dem Europarecht.
Mit der Amtsübernahme von Donald Tusk nach den Neuwahlen in Polen im Herbst 2023 hat sich die Situation zum Besseren verändert. GREEN BORDER von Agnieszka Holland wurde auf dem Internationalen Filmfestival in Venedig 2023 mit sechs Preisen ausgezeichnet. Schauspieler*In: Jalal Altawil, Maja Ostaszewska, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Tomasz Włosok Regie: Agnieszka Holland Drehbuch: Maciej Pisuk, Gabriela Łazarkiewicz-Sieczko, Agnieszka Holland Preise (Auswahl): Internationale Filmfestspiele Venedig 2023: Special Jury Price ; Chicago International Film Festival 2023: Best International Feature; nominiert für drei European Film Awards 2023, Palm Springs International Film Festival 2024: Bridging the Borders Award.